Die IFA ist tot, lang lebe die IFA!

Elektro-Experte Özcan Karadogan debattiert dieses Mal in "Insidernews by Karadogan" über die am morgigen Freitag (2. September 2022) startende IFA in Berlin. Er diskutiert ihre Daseins-Berechtigung und Zukunft, frei nach dem Motto: "Totgesagte leben länger".

01.09.2022 Alexander Hahn 0 Kommentare 3 Likes
Özcan Karadogan ist Experte für die Elektro-Branche.

Özcan Karadogan ist Experte für die Elektro-Branche. Foto: Özcan Karadogan

Özcan Karadogan hat die IFA in seiner beruflichen Laufbahn mehr als 25 Mal besucht, er kennt sie wie seine Westentasche. Was er an der IFA schätzt und wieso sie sich unbedingt immer wieder neu erfinden muss, erfahren Sie in seinem heutigen Gastbeitrag.

Facts zur IFA

Nach einer mehr oder weniger zwangsweisen, pandemiebedingten Pause startet die IFA morgen (am 2. September 2022) wieder auf dem Berliner Messegelände durch. Die IFA begeistert seit nunmehr fast 100 Jahren, seit 2006 findet sie jährlich statt – zuvor war ein zweijähriger Turnus vorgesehen. Veranstaltet wird die IFA von gfu Consumer & Home Electronics GmbH und der Messe Berlin.

Die einst „Internationale Funkausstellung“ genannte Veranstaltung ist eine der fünf wichtigsten Branchen- und Leitmessen der Elektronik-Branche. Sie ist eine Fachmesse für Hersteller und Handel und zugleich zugänglich für ein breites Publikum von Endkonsumenten. Eine breite mediale Berichterstattung und die Einbeziehung von Haushaltsgroß- und Kleingeräten, Digitalisierung sowie zuletzt der E-Mobilität hat der IFA zu gestiegener Popularität verholfen. Das Who’s who der internationalen Hersteller und Marken ist hier heute vertreten. Einer der stärksten Konkurrenten auf internationaler Ebene ist die CES in Las Vegas.

Die IFA als „Ort des Wiedersehens“

Hersteller und Marken können auf der IFA Produkte und Dienstleistungen einer breiten Masse präsentieren. Die zehn größten Aussteller sind internationale Firmen, die außerhalb von Deutschland produzieren und auf der Messe ihre Kunden aus aller Welt treffen. Für die Kunden ist die IFA ein Marktplatz, auf dem die wichtigsten Hersteller gebündelt und effizient besucht werden können. Die IFA ist aber nicht mehr die „Order-Messe“, die sie einmal war. Heute steckt viel mehr dahinter.

Es geht um den direkten Kontakt miteinander und das Drumherum. Die IFA ist eine Kontaktbörse, die Hersteller und Kunden zusammenführt. Sie ist ein „Ort des Wiedersehens“ für Menschen, die in der Branche schon viele Jahre lang arbeiten und auf der Messe alte Kollegen, Kunden und Lieferanten treffen. Wichtig hierfür sind auch die Veranstaltungen nach Messe-Schluss. Man isst mit Kunden und Partnern gemeinsam zu Abend, amüsiert sich auf einer Messe-Party und tauscht sich auch über mehr als die reinen Produkte aus. Nach der Corona-Pause weiß man den physischen, persönlichen Kontakt zu schätzen.

Berlin bietet hierfür Gastronomie und Kulturbetriebe, die einzigartig in Deutschland sind. Zudem ist Berlin einer der internationalsten Städte Deutschlands, in der man auch ohne die deutsche Sprache zurecht kommt.

Ist die IFA eine „totgesagte“ Messe?

Auch die IFA muss sich immer wieder neu erfinden, wenn sie nicht in der Versenkung verschwinden will. Messen, die dies missachtet haben, hat bereits ein trauriges Schicksal ereilt.

Da wäre zum Beispiel die CEBIT in Hannover, die seit 2018 von der Bildfläche verschwunden ist. Zwei Gründe waren hierfür ausschlaggebend: Durch die zunehmende Digitalisierung unserer Welt hat die IT Einzug in andere Produkt- und Lebensbereiche gefunden. Selbst eine einfache Kaffeemaschine oder Waschmaschine arbeitet mit Halbleitern, Software und Funk-Verbindung. Das „Internet der Dinge“ (IoT) findet sich in allen Produkt-Bereichen, sodass kein Bedarf mehr für eine dedizierte IT-Messe bestand.

Ausschlaggebend sind weiterhin Infrastruktur und Standort. Ich erinnere mich daran, dass ich Anfang der 2000er in einer Privatwohnung auf einer Matratze im Wohnzimmer einer alten Dame übernachten musste – dieser Aufenthalt kostete mich über 200 Euro pro Nacht, obendrauf war ich 20 Kilometer von der Messe entfernt. Die jeweilige Stadt muss also für eine ausreichende Infrastruktur und entsprechende Kapazitäten sorgen. Da ist eine Stadt wie Las Vegas fast konkurrenzlos, weil man den Wert solcher Messen sieht und die Leute auch bereit sind einen Flug von 14 Stunden auf sich zu nehmen.

Ein anderes Beispiel ist die Weiße-Ware-Messe Domotechnica in Köln. Auch diese Messe gibt es nicht mehr, auch wenn Köln eine attraktive Messe-Stadt ist. Die Gründe hierfür liegen eher am Produkt und an den finanziellen Möglichkeiten der Hersteller. Nachdem die sogenannte Weiße Ware in die IFA integriert wurde, bestand keine Notwendigkeit mehr für eine zusätzliche Messe nur für diese Produktgruppe. Die finanziellen Mittel der Unternehmen sind nicht unendlich und zwei Messen für ein und dasselbe Produkt sind einfach zu teuer, da die Margen das nicht mehr hergeben. Es gibt ja auch die LivingKitchen, die ebenfalls Weiße Ware im Bereich Einbaugeräte ausstellt.

Die IFA muss attraktiv bleiben

Ein letztes Beispiel, aber außerhalb der Messe-Branche ist die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA). Bis 2021 fand die IAA in Frankfurt am Main statt, seit vergangenem Jahr fungiert sie als Mobilitätsplattform IAA Mobility in München. Über die Gründe und Motivation des Wechsels kann ich hier an der Stelle nicht spekulieren.

Kurzum gesagt: Es müssen alle Komponenten passen. Der Veranstalter muss sich um die Attraktivität der Messe massiv kümmern, aber auch die jeweilige Stadt muss alles dafür tun, um den Standort weiterhin attraktiv zu halten.

Was ich noch los werden wollte …

Als langjähriger Besucher aber auch als Veranstalter muss ich hier eine Lanze für die Menschen brechen, die auf der Messe ihren Stand-Dienst machen. Es ist ein harter Job, von 8 bis 18 Uhr am Messe-Stand zu stehen. Man muss immer ein Lächeln auf den Lippen haben und die Firma kompetent präsentieren. Abends müssen schließlich noch die Kunden beim Geschäftsessen entertaint werden und am nächsten Morgen heißt es wieder: früh aufstehen.

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