Es zählt das Produkt-Drumherum

Özcan Karadogan ist seit Langem DAS Gesicht der Elektro-Branche, nach 15 Jahren in der Geschäftsführung bei Vestel Germany kann er sich nun auch eine Zukunft in anderen Sektoren vorstellen. Welche das sind und was es braucht, um in der großen Welt der Elektronik erfolgreich zu sein, hat er liv.biz im Interview verraten.

30.05.2022 Alexander Hahn 0 Kommentare 4 Likes
Özcan Karadogan ist Experte für die Elektro-Branche.

Özcan Karadogan ist Experte für die Elektro-Branche. Foto: Özcan Karadogan

Worauf kommt es bei Elektro-Marken an? Wie bedeutend ist hier Nachhaltigkeit?

Das Konsumenten-Verhalten ist so vielfältig, dass es schwierig ist, alle Erwartungen des Consumers zu erfüllen. Daher kann man beobachten, dass die Marken ihre Stärke in diversen Punkten hervorstellen. Das fängt an bei der Langlebigkeit, geht über die typische Bedienphilosophie bis hin zur puren kurzfristigen Bedarfsdeckung fürs kleine Geld.

Nachhaltigkeit wird in der heutigen Zeit mit den Diskussionen um knappe Ressourcen und Klimawandel eigentlich vorausgesetzt. Allerdings ist es eine sehr schwierige Gratwanderung. Auf der einen Seite verlangen die Konsumenten getrieben durch die „Geiz-ist-Geil“-Mentalität, dass die Produkte noch billiger werden. Auf der anderen Seite wird die Industrie angeprangert, dass die Produkte nicht mehr repariert werden können wie vor 10 bis 20 Jahren. Die Reparaturfähigkeit wird zum einen durch die extreme Digitalisierung und Miniaturisierung kaum möglich sein, und insbesondere in Hochlohn-Ländern wie Deutschland kaum rentabel.

Nichtsdestotrotz sehe ich interessante Entwicklungen im Bereich von sogenannten gemeinnützigen „Repair-Cafés“, wo sich Konsumenten selber helfen. Diese könnten von der Industrie unterstützt werden.

Wie wichtig ist der Fernseher – aus Händler- und Konsumentenperspektive?

Auch wenn sich das Fernsehverhalten in den letzten Jahren massiv geändert hat, ist das sogenannte „lineare Fernsehen“ beziehungsweise der Fernseher an sich immer noch das mediale Lagerfeuer bei Familien oder bei Zusammenkünften mit Freunden. Sei es zum Beispiel das gemeinsame Ansehen des ESC oder ein Fußball-Abend mit Freunden.

Nichtsdestotrotz versuchen die Sendeanstalten ihr Angebot auf verschiedenen Kanälen an die Zuschauer zu bringen. Die Ablösung des Videotextes als grob-strukturiertes monochromes Anzeige-Medium hin zur breitgefächerten Mediathek ist ein Meilenstein. Ich finde insbesondere die öffentlich-rechtlichen Programme machen da einen recht guten Job, der natürlich durch die GEZ-Gebühren finanziert wird. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist der deutsche Zuschauer nicht bereit, für Premium-Content Geld zu bezahlen.

Aus Händlersicht hat der Fernseher vor 20 Jahren die sogenannten „Ton-Träger“ als Frequenzbringer im stationären Handel abgelöst. Es war auch zu beobachten, dass insbesondere Hersteller aus dem asiatischen Raum den Fuß in die Tür gesetzt haben – durch TV-Produkte und Telekommunikations-Produkte. Danach haben sie ihr aufgebautes Image und Kunden-Klientel auf andere Produkte ihres Portfolios ausgebreitet.

Wie stark ist die Branche von Lieferengpässen betroffen?

Da ich aktuell nicht im operativen Business bin, kann ich keine validen Aussagen dazu treffen. Ich denke aber, dass aufgrund der aktuellen und noch zu erwartenden Krisen im Herbst, Lieferengpässe noch ein Thema sein werden.

Spannend ist es aber auch zu beobachten, wie sich die Preissteigerungen auswirken werden. Inzwischen hat „jeder“ verstanden, dass alles teurer wird. Wie werden sich aber die bereits eingetretene Inflation und die steigenden Energiekosten auf die Konsumbereitschaft auswirken? Das Geld sitzt dann nicht mehr locker und einige nicht dringend nötigen Investitionen werden sicherlich aufgeschoben oder nicht getätigt. Es bleibt auch zu hoffen, dass es nicht zu einer Stagflation kommt.

Was braucht es, um in der Elektro-Branche erfolgreich zu sein?

Nach meiner Ansicht gibt es zwei Betrachtungsweisen. Die eine ist, dass im hart umkämpften Bereich der Consumer-Electronics (CE) nur die Großen überleben werden. Nur wer große Stückzahlen umsetzt und auch die dementsprechende Einkaufspower für die Komponenten und Services hat, wird überleben. Leider gehört die CE nicht zu den lukrativen Bereichen der Manufakturen wie zum Beispiel der Automobil- oder Uhren-Sektor, wo der Kunde bereit ist, den Mehrpreis für das Produkt zu bezahlen.

Des Weiteren habe ich in den letzten Jahrzehnten beobachtet, dass die Produkte und Marken austauschbar sind. Fast jeder der Marktteilnehmer macht gute Fernseher mit anständiger Qualität und umfangreicher Ausstattung und mit einigermaßen bezahlbarem Preis. Die Zeiten des „immer flacher, dünner und größer“ bei Fernsehern ist vorbei. Evolutionäre Innovationen, die die Nachfrage pushen könnten, wird es in nächster Zeit nicht geben.

Daher ist die Herausforderung für die Hersteller, das ganze Drumherum um das Produkt zu verbessern, wie zum Beispiel die Themen Service und Problem-Lösung. In Niedriglohn-Ländern ist der Kundenservice (zum Beispiel Installation und Lieferung) kostenlos und wird vom Konsumenten vorausgesetzt. In kerneuropäischen Ländern haben wir aber das Problem, dass die Handwerker/Servicetechniker-Stunde sehr teuer ist und zudem auch kaum Service-Techniker im Markt verfügbar sind, weil immer weniger solche Berufe lernen wollen.

Was bleibt Ihnen nach 15 Jahren bei Vestel Germany besonders in Erinnerung? Bereuen Sie etwas?

Ich bin froh, bei einer Firma wie Vestel gearbeitet zu haben. Vestel ist eine einzigartige Firma, welche es kein zweites Mal in der westlichen Hemisphere gibt. Es gibt keinen vergleichbaren Hersteller, der zum einen die Bandbreite von OEM, ODM, Lizenz- und Eigenmarke in der Vielfalt abbildet. Und zum anderen gibt es keinen Hersteller in Europa, der die Vielfalt an Produkten herstellt – angefangen bei TV über Haushaltsgroß-Geräte bis hin zu EV-Charger, E-Bike-Batterien und Digital-Signage-Produkten. Vestel schafft die Synergien zwischen den Produkten, da sie eigene Entwickler und eigene Fertigungsstätten in EU-Nähe hat. So vielfältig wie das Produkt- und Kunden-Portfolio war auch das tolle Team, das hinter Vestel stand. Insbesondere die Zusammenarbeit mit Kunden und Dienstleistern hat mir sehr viel Spaß gemacht.

Bereuen tue ich nichts. Wir waren auch als Vestel natürlich immer auf der Suche nach einem zweiten und dritten Standbein, um die Zukunft zu sichern. Manche Versuche und Ansätze haben nicht funktioniert, dafür aber manch andere richtig gut – wie zum Beispiel EV-Charger.

Was wartet auf Sie in der Zukunft?

Zunächst einmal habe ich mir eine sechsmonatige Auszeit gegönnt, da ich seit 27 Jahren durchgehend berufstätig bin. Ich werde den Sommer genießen, mich meinen Hobbys widmen und mein Handicap verbessern.

Beruflich kann ich mir vorstellen, in der Branche zu bleiben – sowohl auf der Hersteller- als auch auf der Handelsseite. Beiden Seiten stehen große Herausforderungen bevor und ich will ein Teil davon sein. Es kann aber auch sein, dass ich in einer komplett anderen Branche aufpoppe. Ich beherrsche den Einkauf und den Vertrieb. Da ist es unwesentlich, ob es ein Fernsehgerät oder ein anderes Produkt oder eine andere Dienstleistung ist. Auf jeden Fall möchte ich aber mit einem Team zusammenarbeiten – und diesem Team zum Erfolg verhelfen.

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