Personalmangel pusht Nachhaltigkeit in Wirtschaft

Nachhaltigkeit ist aktuell wichtiger denn je – auch für Unternehmen. Der Personalmangel macht Sustainability zu einem wichtigen Faktor der Arbeitgeberattraktivität. Wie Unternehmen dem gerecht werden können und warum selbstgestrickte Nachhaltigkeitssiegel zukünftig vom Markt fliegen werden, hat uns Dr. Axel Kölle, Mitbegründer des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) der Universität Witten/Herdecke, erklärt.

25.08.2022 Alexander Hahn 0 Kommentare 3 Likes
Nachhaltigkeit wird für Unternehmen immer bedeutender, um Arbeitnehmer von sich zu überzeugen.

Nachhaltigkeit wird für Unternehmen immer bedeutender, um Arbeitnehmer von sich zu überzeugen. Foto: Lina Trochez – unsplash.com

Nachhaltigkeit in Krisenzeiten ist ein schwieriges Thema. Die deutsche Wirtschaft steht aufgrund der Auswirkungen von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg vor enormen Herausforderungen. Auf der einen Seite sehen sich Unternehmen mit steigenden Kosten für etwa Energie und Verpackungen konfrontiert, auf der anderen Seite steht ein wachsender Personalmangel. Für manche Firmen ist da kaum an Nachhaltigkeit zu denken, das sollten sie aber – sagt ZNU-Mitbegründer Dr. Axel Kölle.

Nachhaltigkeit muss begeistern

Denn: Insbesondere der Personalmangel lässt Nachhaltigkeit verstärkt in den Fokus rücken. Während Inflation und Preissteigerungen Nachhaltigkeit in manchen Unternehmen zweitrangig werden lassen, pusht der Personalmangel ihre Bedeutung. „Es geht darum, Menschen zu begeistern, Menschen für mich als Unternehmen zu begeistern“, sagt Kölle. Und hier ist nicht nur das Gehalt oder der Name des Unternehmens entscheidend, soziale und ökologische Themen sind gerade für jüngere Menschen von Bedeutung. „Je jünger die Menschen, desto mehr wird darauf geachtet, ob das Unternehmen zu ‚den Guten‘ gehört“, sagt Kölle.

Dr. Axel Kölle, Mitbegründer des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) der Universität Witten/Herdecke

Dr. Axel Kölle, Mitbegründer des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) der Universität Witten/Herdecke. Foto: ZNU Universität Witten Herdecke/Kölle

Und diese Bedeutung von Nachhaltigkeit müsse Unternehmen verdeutlicht werden, auch hier ist „Begeisterung“ das Stichwort. „Wir müssen das Thema greifbar und messbar machen, für Unternehmen die Business-Relevanz herausstellen.“ Am ZNU werden hierzu im Bereich Klimaschutz fünf Schritte kommuniziert, „ZNU goes Zero“ heißt der Prozess. Hierbei wird der Status quo der CO2-Emissioen erfasst, der Fokus auf das Vermeiden und Vermindern von CO2 gelegt, konkrete Maßnahmen umgesetzt und Grünstrom genutzt, nicht vermeidbare Emissionen werden CO2-neutral gestellt und schließlich mehr Glaubwürdigkeit erzeugt, in dem zusätzlich in das Schaffen von Biomasse und in Bildung und Aufklärung investiert wird.

„Selbstgestrickte Nachhaltigkeitssiegel werden vom Markt fliegen“

Diese Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit sollte das jeweilige Unternehmen laut Kölle unbedingt transparent und glaubwürdig festhalten, etwa auf einer Landingpage. Generell müsse in puncto Nachhaltigkeit immer zwischen der Unternehmens- und Produktebene unterschieden werden. Wenn nämlich zum Beispiel die Produktion an einem Standort klimaneutral gestellt sei, bedeute das noch lange nicht, dass das gesamte Produkt klimaneutral sei. „Enorme Emissionen können trotzdem in der vorgelagerten Wertschöpfungskette ausgestoßen werden“, sagt Kölle. Trotzdem sei es ein wichtiger Schritt, überhaupt etwas zu tun. Wie dieses „Tun“ dann nach außen kommuniziert wird, sei dann immer die Frage.

„Siegel sehe ich kritisch. Der Wunsch danach ist da, aber es gibt keine wirkliche Vergleichbarkeit“, sagt Kölle. „Selbstgestrickte Nachhaltigkeitssiegel werden vom Markt fliegen, er wird deutlich bereinigt werden – hierauf zielt ja auch zukünftig die Green-Claims-Verordnung der EU ab“. Er könne Unternehmen verstehen, die sich abheben wollen. Da das Thema an sich aber so komplex wäre, könne für ein einheitliches Siegel für ganzheitliche Nachhaltigkeit nur der kleinste gemeinsame Nenner ausschlaggebend sein. „Ein richtiger Freund bin ich davon nicht.“

Um das Thema Nachhaltigkeit messbar und glaubwürdig zu gestalten, hat das ZNU einen ganzheitlichen Standard entwickelt. Dieses wissenschaftlich fundierte Management-System, das den Lernprozess und damit den Menschen in den Mittelpunkt stellt, erfährt zunehmend Akzeptanz. So findet es mittlerweile Einsatz bei Fußballbundesligisten, in der Bau- oder Braubranche  sowie in Handwerksbetrieben (zum Beispiel einem Steinmetz), demnächst kommt der erste Händler dazu. Der Ansatz ist von unabhängig dritter Seite wie TÜV, DEKRA und Co. zertifizierbar und findet auch zunehmend im Finanzbereich – Stichwort ESG-Ratings – Akzeptanz.

Die Nachhaltigkeit der Zukunft schafft Bewusstsein

Die Nachhaltigkeit der Zukunft besteht also darin, dass wir alle gemeinsam, Schritt für Schritt, mehr Verantwortung für Mensch und Umwelt übernehmen. „Wir müssen uns mehr Gedanken darum machen, wo die Produkte herkommen“, sagt Kölle. Dazu zähle, zu schauen, was in Produkten stecke und wie die Wertschöpfungskette aussehe. „Ich glaube das Bewusstsein wird sich sukzessive einstellen. Junge Menschen lassen es sich nicht mehr gefallen, dass wir so weiter machen wie bisher. Und das ist auch gut so!“

Nach Kölle werde sich das Thema Mobilität zukünftig verändern. Dabei wird sich nicht nur auf die E-Mobilität fokussiert werden, sondern auf verschiedene Ansätze. „Dafür haben wir gar nicht genug Rohstoffe“, sagt Kölle. Wenn es nach ihm ginge, müssen wir es vor allem schaffen, das Nord-Süd-Gefälle abzumindern und den Süden stärker an der Wertschöpfungskette partizipieren lassen. „Warum nicht viel stärker Afrika als Energieproduzenten nutzen und im Norden Lebensmittel produzieren? Aber das ist noch Wunschdenken“, sagt Kölle.

Insgesamt werde sich die Welt aber verändern müssen und weniger „Trash“ produzieren. „Es geht nicht immer um Verzicht, man muss Dinge weiterentwickeln“ – wie eben die Mobilität oder den Flugverkehr. Kölle selbst setzt in Freundeskreis und Familie auf Aufklärung. Mit bildhaften Beispielen versucht er aufzuzeigen, wo man Dinge einsparen kann. „Aktuell gehen uns alle zwei Minuten 35 Fußballfelder Regenwald verloren“, sagt Kölle.

Und jeder kann seinen kleinen Teil dazu beitragen, dies zu verhindern. Kürzer duschen und weniger fliegen sind da nur zwei Optionen von vielen. Kölle versucht sein Einkaufsverhalten zu optimieren: möglichst viel Bio und regionale Produkte stehen auf seinem Einkaufszettel und: „Man kann auch kreativ mit Essensresten sein“, sagt Kölle.

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