Wenn die Kasse in den Ruhestand geht …
Nie wieder Schlange stehen, Ware einfach aus dem Regal nehmen und später per App bezahlen: Klingt wie ein Einkaufserlebnis aus der Zukunft? Die ist in den USA bereits angekommen: „Amazon Go“ macht das kassenlose Einkaufen möglich. Ob das auch in Deutschland denkbar ist, erfahren Sie bei liv.biz.

Eine alte Kasse in einem Laden. Foto: Christian Linnemann – unsplash.com
Die Corona-Pandemie hat uns eines klar gezeigt: Der Einzelhandel bedarf einer Revolution. Komplizierte Hygienekonzepte und gleich zwei Lockdowns stellten das physische Einkaufserlebnis vor besondere Herausforderungen. In allen Branchen suchte man in kürzester Zeit nach Lösungen, um Waren zu den Kunden zu bringen und letztendlich die eigene Existenz zu sichern. Click & Collect war hier das erfolgsversprechende Zauberwort, Lieferdienste sicherten in der Quarantäne die Lebensmittelversorgung.
Amazon Go – kassenloses Einkaufen ist keine Zukunftsmusik
Doch auch wenn die Pandemie in die Geschichtsbücher verbannt wird, bleibt noch ein ganz wichtiger anderer Faktor: Zeit. So ändert sich der Alltag unserer Kunden jährlich, monatlich oder teilweise sogar täglich. Die Motivation nach einem langen Arbeitstag noch in der Drogerie oder im Baumarkt Schlange zu stehen, ist äußerst gering – duschen und den Toilettendeckel reparieren muss man aber trotzdem. Und da hat niemand Geringeres als Amazon eine passende Lösung für uns: Einkaufen ohne klassisches Kassensystem, ohne Kassierer, ja, sogar ohne sichtbares Scannen der Ware.
Hört sich nach Science Fiction und sehr weit entfernter Zukunftsmusik an? Ist es aber nicht. „Amazon Go“ beziehungsweise „Amazon Fresh“ heißen die Filialen des US-Konzerns, in denen keine Kassen zum Einsatz kommen. Bisher gibt es „Amazon Go“ etwa 30 Mal in den USA und „Amazon Fresh“ einmal in London. Das Erfolgsrezept ist clever und ganz schön high-tech: Kameras und Sensoren in den Regalböden registrieren, wer welche Waren einkauft. Bezahlt wird am Ende per App, in manchen Stores ist allerdings auch die Barzahlung möglich.
Kassenlose Systeme in Deutschland
In Deutschland ist Amazons Zukunftsmarkt noch nicht vertreten, Rewe hat mit „Pick & Go“ aber bereits neue Wege des Lebensmittel-Einkaufs eingeschlagen. Seit Sommer dieses Jahres ist in einem Rewe-Markt an der Kölner Zeppelinstraße das kassenlose Einkaufen möglich. Wie bei „Amazon Go“ scannt die Technik Personen und Ware, bezahlt wird mit dem Smartphone. Datenschutzrichtlinien sollen hier natürlich eingehalten werden.
Nonfood-Branche ohne Kassen?
Doch wie sieht es mit dem deutschen Nonfood-Sektor aus? Die Drogeriemarktkette Rossmann macht zumindest bezahlen in der App möglich (das muss allerdings an der Kasse erfolgen), DM setzt weiterhin auf Click&Collect, ebenso wie Ikea und Co. Fakt ist auch, dass viele Kunden in Deutschland den Kontakt zu Mitarbeitern insbesondere an der Kasse sehr schätzen. Ist es also denkbar, dass auch bei uns bald keine Ware mehr übers Fließband läuft?
„Ja”, sagt der Experte für Bezahlsysteme vom Handelsverband Deutschland Ulrich Binnebößel: „Der Einkauf in sogenannten kassenlosen Geschäften ist derzeit ein wirkliches Trend-Thema. Die verschiedenen Technologien in der Erkennung von Kaufabsichten können in den unterschiedlichsten Branchen eingesetzt werden.” Der Lebensmittelhandel sei in der Erprobung derzeit führend, da hier die hoch frequentierten Kassen eine besondere Hürde darstellen. Jedoch seien gerade auch Non-Food-Unternehmen mit überschaubarem Sortiment geeignet für einen nahtlosen check-out ohne klassische Kassensituation.
„Produkte könnten hier sowohl über Computer Vision, das heißt intelligente Kameraerkennung als auch über Erfassung von NFC-Tags in den digitalen Warenkorb übernommen und bezahlt werden”, sagt Binnebößel. Entsprechende Versuche hat es beispielsweise bereits 2018 bei Saturn gegeben. In Hamburg konnten Kunden drei Monate das sogenannte „Saturn Smartpay” testen. Mit der App konnte der Barcode der Ware gescannt werden, auch das digitale Preisschild konnte hierfür genutzt werden. Bezahlung erfolgte ebenfalls per App. Zur Kasse musste der Kunde allerdings trotzdem, unter anderem zum Entsichern der Ware.
Was wird aus dem Nonfood-Personal?
Was sich bei dem Testlauf von Saturn bereits abzeichnet, ist: Ohne fachkundiges Personal geht es nicht. Der Meinung ist auch Ulrich Binnebößel: Oft sei auch in kassenlosen Geschäften noch Personal in der Kassenzone notwendig, um den ordnungsgemäßen Ablauf sicherzustellen, den Kunden bei der Bedienung der Geräte zu helfen und Diebstahl zu verhindern.
„Grundsätzlich ist nicht damit zu rechnen, dass jetzt nur noch Self-Scanning-Kassen oder automatisierte Systeme zum Einsatz kommen. So verschieden wie die Kunden, die Produkte und die Standorte im Einzelhandel sind, werden wir ein Nebeneinander beider Lösungen erleben.” Dafür sei auch nicht zuletzt noch einmal betont, dass sich auch viele Kunden ausdrücklich Personal an den Kassen wünschen. „Nicht umsonst wurden in den letzten Jahren teilweise extra „Plauderkassen“ eingerichtet, um den sozialen Bedürfnissen der Kundschaft nachzukommen.” An solchen Kassen herrscht kein Zeitdruck, quatschen ist hier ausdrücklich erwünscht. Und das macht am Ende auch das Einkaufserlebnis zu einer runden Sache.
0 Kommentare