Wird Nonfood zur Nebensache?

Die steigende Inflation stellt eine ernst zu nehmende Gefahr für Nonfood dar, sagt Prof. Dr. Carsten Kortum. liv.biz hat mit dem Studiengangsleiter BWL-Handel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn in "Kortums Nonfood-Welt" über den Ukraine-Krieg, staatliche Maßnahmen und Auswirkungen auf die Nonfood-Branche gesprochen.

24.03.2022 Alexander Hahn 0 Kommentare 3 Likes
Prof. Dr. Carsten Kortum, Leiter des Studiengangs Betriebswirtschaft und Handel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn.

Prof. Dr. Carsten Kortum, Leiter des Studiengangs Betriebswirtschaft und Handel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn. Foto: DHBW

Was ist eine Inflation, welche Faktoren bedingen sie und wie kann man sie stoppen?

Preisveränderungen im Handel sind ganz normaler Alltag. So verändern sich beispielsweise Obst- und Gemüsepreise täglich. Alle Händler mit High-low-Strategie arbeiten mit temporären Sonderangeboten. Wenn die Preise für Produkte und Dienstleistungen jedoch allgemein ansteigen, wird von Inflation gesprochen. Bei der Messung werden alle Waren einbezogen, die von privaten Haushalten konsumiert werden.

Durch Inflation sinkt die Kaufkraft der Währung. Das Inflationsziel der EZB ist mittelfristig 2 Prozent und nicht 0 Prozent. Eine geringe Geldentwertung wird also angestrebt, um auf jeden Fall eine Deflationsspirale zu vermeiden.

Die Geldpolitik der EZB war in den letzten Jahren extrem expansiv. Die Geldmenge und die Notenbankbilanz sind massiv ausgeweitet worden. Diese hohe Geldmenge trifft jetzt auf ein reduziertes Warenangebot. Die EZB reagiert im Vergleich zu den Notenbanken in den USA und UK nicht und verschließt sich den Entwicklungen. Dabei kann man bei Aldi und an der Tankstelle für jeden sichtbar diese Entwicklungen sehr gut beobachten. Wir laufen Gefahr, in eine nur ganz schwer zu stoppende Lohn-Preis-Spirale zu geraten. In der Vergangenheit haben Vollbremsungen von Notenbanken zu Rezessionen geführt. Da die Notenbanken die Staatsfinanzierung übernommen haben, besteht hier zusätzlicher Zündstoff.

Was ist notwendig, um die Inflation und weitere Folgen des Ukraine-Krieges abzumildern?

Der Staat hat die üblichen Instrumente einer Fiskalpolitik zur Verfügung. Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde zur Ankurbelung des Konsums beispielsweise die Mehrwertsteuer zeitlich begrenzt gesenkt. Diese Maßnahmen wären kurzfristig möglich. Auch werden bereits zusätzliche Sozialausgaben gezahlt, wie zum Beispiel Heizkostenzuschüsse.

Die Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln treffen besonders Haushalte mit geringem Einkommen. Hier muss und wird auch ein sozialer Ausgleich geschaffen werden. In der Summe wird jedoch das staatliche Defizit noch weiter ansteigen und die höhere Verschuldung die Steuerzahler auch noch in der Zukunft belasten. Insbesondere bei steigenden Zinsen wird der Spielraum der öffentlichen Hand in Zukunft sehr weit eingeschränkt werden.

Mittelfristig wird die Energiepolitik des Staates gefordert sein, um für stabile Preise und Versorgungssicherheit zu sorgen. Die niedrigen Energiepreise durch subventionierte Kernenergie und fossile Energieträger, denen die externen Kosten nie richtig zugerechnet wurden, gehören der Vergangenheit an. Klimaschutz und Versorgungssicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Dadurch werden sich die Produktpreise dauerhaft nach oben bewegen.

Welche Auswirkungen wird die Ukraine-Krise neben der Inflation auf die Nonfood-Branche haben?

Auch schon vor der Ukrainekrise gab es einen Inflationseffekt bei Nonfood, der jetzt durch die steigenden Energiepreise noch weiter verstärkt wird. Die Ukraine ist nur im Randbereich Lieferant von Nonfood-Artikeln. Insbesondere bei Möbelhändlern sind Holzprodukte betroffen. Der Kunde muss bei den ohnehin schon langen Lieferfristen noch weiter warten bei schon bezahlter Ware. Bei Lebensmitteln dagegen ist die Ukraine bedeutendes Lieferland bei Grundnahrungsmitteln. Der Ausfall wird kaum kompensiert werden können und zu nachhaltigen Verwerfungen im Markt führen.

Wie wirkt sich eine Inflation auf das Kaufverhalten aus?

Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden aufgrund knapper werdenden Budgets ihre Käufe reduzieren, aufschieben oder gar streichen. Günstige Eigenmarken mit gleicher Qualität wie Markenartikel werden gewinnen. Hier sind einige Händler gut positioniert, die in allen Warengruppen durch eigenes Sourcing in Asien und die Zusammenarbeit mit leistungsstarken Importeuren ein gutes Qualitätsniveau gesichert haben. Es gibt aber auch große Handelsketten, die Ihre Eigenmarken strategisch nur als Abrundung nach unten positioniert haben. Hier eine nötige Kehrtwende einzuleiten bedarf Zeit und Ressourcen. Nachhaltige Produkte werden auch zu den Verlierern gehören. Die Hybridkäufer werden sich aus Budgetgründen öfter wieder für das konventionelle Produkt entscheiden müssen.

Welche Auswirkungen hat eine steigende Inflation auf den Nonfood-Sektor?

Bei Nonfood-Produkten kommen drei Einflussfaktoren zusammen: die steigenden Erzeugerpreise in China, weiterhin sehr hohe Containerfrachtraten und ein gegenüber dem USD schwacher Euro. In der Summe kommt es je nach Frachtintensität zu Einkaufspreissteigungen zwischen 10 und 50 Prozent. Die Preissteigerungen kommen bedingt durch die zeitliche Diskrepanz zwischen Einkaufs- und Verkaufszeitpunkt erst sukzessive am POS an. Großvolumige Artikel wie zum Beispiel Campingmöbel oder Grills werden zu deutlich höheren Verkaufspreisen angeboten werden müssen.

Die Reaktion der Verbraucherinnen und Verbraucher dazu stehen noch aus. Im Aktionsgeschäft werden diese Artikel weniger angeboten werden, Umsätze werden zurückgehen.

Für Nonfood im Lebensmitteleinzelhandel besteht die Gefahr, dass die Warengruppen noch mehr als Ergänzungssortiment gesehen werden. Profilierungsinstrument ist Nonfood nur noch bei wenigen Händlern. Flächen und Werbeaufwand werden reduziert werden.

Wie lange wird es nach Beendigung des Krieges dauern, bis wieder Normalität im Handel herrscht?

Ich rechne nicht mit einer schnellen Lösung des Konfliktes. Die internationale Zusammenarbeit wird weiterhin beeinträchtigt sein. Die neue Normalität wird anders aussehen als 2019. Wir hatten nach der Finanzkrise 10 gute Jahre im Handel. Jetzt ist der Handel auch in der VUCA-Welt angekommen. Für die Entscheider gilt es die neue Normalität zu managen.

Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden auf die Jeans für 4,99 Euro oder den Toaster für 9,99 Euro verzichten müssen, Artikel mit nur sehr geringer Wertschöpfung und Qualität. Der Handel wird zu den erhöhten Preisen nicht mehr die Absätze der Vergangenheit erzielen. Es wird weniger konsumiert und viele Artikel im Konsumsystem der Verbraucherinnen und Verbraucher an Bedeutung gewinnen.

Wenn die EZB von ihrer bisherigen Geldpolitik abweicht, kann es zu einer Rezession kommen. Wir haben dann hohe Inflationsraten bei null Wachstum: Stagflation. Ein Begriff den die jüngere Generation erst lernen muss.

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